Weniger fossile Brennstoffe, mehr Wettbewerbsfähigkeit: Wie Elektrifizierung die Industrie und den Klimaschutz stärkt
Fossile Brennstoffe für industrielle Prozesse können zunehmend durch strombasierte Technologien ersetzt werden. Eine Studie von Agora Industrie zeigt, dass 90 Prozent des bisher größtenteils fossil gedeckten Energiebedarfs zur Wärmeerzeugung der europäischen Industrie bis 2035 elektrifiziert werden können. Die rasche Einführung solcher strombasierten Technologien kann somit einen entscheidenden Beitrag zu den europäischen Klimazielen leisten und helfen, die globale Wettbewerbsfähigkeit des Sektors zu sichern.
Prozesswärme ist ein zentrales Element in der Industrieproduktion – sie wird etwa zum Schmelzen von Glas, zur Herstellung von Lebensmitteln und zum Schmieden von Stahl benötigt. Weil diese Wärme momentan größtenteils fossil erzeugt wird, ist sie für drei Viertel der industriellen Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union verantwortlich. Der Umstieg von auf fossilen Brennstoffen basierenden Prozessen zu klimafreundlichen Alternativen leistet daher einen wichtigen Beitrag, um die Emissionen der Industrie im Einklang mit den europäischen Klimazielen zu reduzieren und die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors zu stärken. Gleichzeitig kann die Industrie durch eine flexible Nachfrage eine entscheidende Rolle spielen, um die Strominfrastruktur optimal auszulasten. Das wiederum trägt dazu bei, das Energiesystem zügig und kosteneffizient klimaneutral aufzustellen.
In einer im Juni veröffentlichten Studie hat Agora Industrie das technische Potenzial der Elektrifizierung von Prozesswärme untersucht. Die Analyse, deren Zusammenfassung jetzt auf Deutsch verfügbar ist, kommt zu dem Schluss, dass die heute vorhandenen strombasierten Technologien bereits einen Großteil der Prozesswärme liefern können. Wenn zusätzlich Technologien für Hochtemperaturanwendungen weiterentwickelt werden, kann bis 2035 etwa 90 Prozent des bisher nicht elektrifizierten Endenergiebedarfs der europäischen Industrie auf Strom umgestellt werden. Innerhalb nur eines Jahrzehnts könnten damit direkte Elektrifizierungstechnologien einen Großteil der derzeit für Prozesswärme verwendeten fossilen Brennstoffe durch Erneuerbare Energien ersetzen, so die Autoren.
Mit elektrischer Wärme die nächste Stufe zünden
Die Studie zeigt, dass Großwärmepumpen und Elektrodenkessel bereits heute Prozesswärme im industriellen Maßstab bei Temperaturen von bis zu 200 bzw. bis zu 500 Grad Celsius liefern können, die beispielsweise für die Papierherstellung, verschiedene chemische Prozesse und die Lebensmittelindustrie benötigt werden.
Widerstandsheizungen und Lichtbogenöfen können zuverlässig Temperaturen bis zu etwa 1 800 Grad Celsius erzeugen, die zum Schmelzen von Metallen und Kunststoffen benötigt werden, während die Induktionstechnik sogar höhere Temperaturen von bis zu 3 000 Grad Celsius erreichen kann. Für das Brennen von Klinker und das Erhitzen von Stahl werden wahrscheinlich noch zu verfeinernde Verfahren wie Plasmabrenner und eine Wärmeerzeugung mit Stoßwellen benötigt. Für alle diese Lösungen gibt es bereits klare Entwicklungspfade. Wenn die politischen Rahmenbedingungen richtig gesetzt werden, ist eine breite Einführung der Verfahren bis 2035 sowohl technologisch als auch wirtschaftlich darstellbar.
Da industrielle Prozesse oft standort- und produktspezifisch sind, ist in jedem Fall eine individuelle Bewertung erforderlich. Es kann Situationen geben, in denen hybride Konzepte, wie direkt elektrifizierte Wärme in Kombination mit Biomasse oder Wasserstoff, die beste Lösung darstellen. In der Mehrzahl der Anwendungsfälle stellt jedoch die direkte Elektrifizierung von Prozesswärme die effizienteste Nutzung erneuerbarer Energien dar. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass bis 2035 von den 2 067 Terawattstunden (TWh) Energie, die 2019 in der EU-27 für Prozesswärme verwendet wurden, 1 859 TWh – also 90 Prozent - elektrifiziert werden könnten. Um dies zu erreichen, müssen jedoch eine Reihe von Hindernissen beseitigt werden.
Wie das Potenzial der elektrischen Wärme voll ausgeschöpft werden kann
Zu den Hürden, die derzeit einer verstärkten Elektrifizierung im Wege stehen, gehören die relativen Kosten von Strom im Vergleich zu fossilem Gas und die Begrenzung der bestehenden Erzeugungs- und Transportkapazitäten für Strom aus erneuerbaren Energien. Auch die Industrie zögert möglicherweise mit der Umstellung, bis großangelegte elektrifizierte Anwendungen stärker verbreitet sind. Fehlende Energieinfrastruktur oder die Ungewissheit bezüglich deren künftiger Entwicklung sind aktuell allerdings die größten Hindernisse für eine breite Umsetzung. In der Agora-Studie werden mögliche politische Lösungen zur Überwindung dieser Hürden aufgezeigt.
So wies Frank Peter, Direktor von Agora Industrie, bei der Vorstellung des Berichts darauf hin, dass die neue Europäische Kommission durch die Entwicklung eines EU-Aktionsplans zur industriellen Elektrifizierung ein starkes Signal für Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz setzen kann. Ein solcher Aktionsplan sollte Unternehmen dabei unterstützen, der elektrischen Prozesswärmeerzeugung Vorrang einzuräumen, und so dazu beitragen, dass diese stärker genutzt wird, so Peter. Dies würde die Bildung einer Industrieallianz beinhalten, um die Markteinführung strombasierter Wärmetechnologien zu erleichtern, Wissen und ‚best practice‘ zu teilen, und Investitionen anzureizen, z. B. durch die Festlegung von Zielen für Wärmepumpen und E-Boiler. Der Aktionsplan sollte auch sicherstellen, dass Finanzierungsprogramme wie Horizon Europe und der EU ETS Innovationsfonds Projekten zur direkten Elektrifizierung Vorrang einräumen, dass ein beschleunigter Netzzugang für die Industrie gefördert wird und dass die Elektrifizierung industrieller Prozesswärme in die Netzplanung integriert wird.
Der Bericht ‚Direkte Elektrifizierung industrieller Prozesswärme‘ fasst auf 27 Seiten die wesentlichen Inhalte der Studie ‚Direct electrification of industrial process heat‘ zusammen. Diese wurde von Agora Industrie in Auftrag gegeben und vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung erstellt. Beide Publikationen stehen unten bzw. unter www.agora-industry.org zum kostenlosen Download bereit.
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Frank Leo Jordans
Senior Manager Presse und Kommunikation Industrie & Wasserstoff